Wissenswertes
Impfungen...ein heißes Thema!
Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Rubrik Wissenschaft, 12. Januar 2003, Nr. 2, Seite 51
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Hunde und Katzen werden hierzulande jährlich gepiekst.
Das ist übertrieben und kostet die Tiere mitunter das Leben.
VON MONIKA PEICHL
Mittelpunkt einer sechsköpfigen Familie, geliebt und umsorgt: Die Boxerhündin Zenta hatte ein feines Hundeleben. Doch sie wurde nur sieben Jahre alt, und daran gibt sich ihr Besitzer Manfred Erhardt eine gewisse Mitschuld. Hätte er die Hündin nicht im Oktober 2001 wieder einmal impfen lassen, würde sie noch leben - davon ist er überzeugt. Vier Tage nach einer Fünffachimpfung bricht die Hündin zusammen, krampft, die Lefzen sind grau, der Puls rast. Die Anfalle wiederholen sich fortan zwei- bis dreimal pro Woche und werden immer schwerer. Die Familie scheut weder Kosten noch Wege, aber die Ärzte können nicht helfen, nicht einmal die Hochschulveterinäre in München und Zürich. Im März letzten Jahres wird Zenta eingeschläfert.
Auch Familie Jäger* spart nicht am Arzt für ihre Katze. Auf sein Anraten erhielt die Samtpfote vom dritten Lebensjahr an keine Impfungen mehr: Die brauche sie als erwachsenes Tier nicht. Zehn Jahre lebt sie ohne Impfspritze gesund und munter, bis ihre Besitzer sie in eine Tierpension geben wollen. Weil man dort einen frischen Eintrag im Impfpaß verlangt, wird die Katze zum Veterinär gebracht. Das ist diesmal ein anderer, und der ist entsetzt, daß sie so lange nicht mehr immunisiert wurde. Also legt er los. Nach drei Auffrischungen im Jahresabstand entwickelte das Tier an der Injektionsstelle einen bösartigen Tumor, an dem es schließlich stirbt.
"Anstatt jährlich, könnte man die Impfungen auch jedes Schaltjahr auffrischen", lästert ein Experte.
Todesursache Impfen? Kritik an den herkömmlichen Impfschemata kam zuerst in den Vereinigten Staaten auf. Beunruhigt durch die steigende Häufigkeit dieses Tumors an Impfstellen, unterzogen amerikanische Kleintiervirologen im vergangenen Jahrzehnt die üblichen Impfpläne einer Revision. Kritik an den jährlichen Auffrischungen oder "Boostern" hatten Wissenschaftler wie Ronald Schultz von der Universität Wisconsin und Fred Scott von der Cornell-Universität schon 1978 geäußert. Doch erst als massenhaft Sarkom-Katzen auf den Behandlungstischen amerikanischer Ärzte landeten, fanden die Skeptiker Gehör, und Veterinäre stellten sich die Frage: Impfen wir zuviel?
Mittlerweile kann sie als beantwortet gelten. Die seit zwei Dekaden üblichen Jahresimpfungen seien "nicht zu verteidigen", konstatiert etwa Niels Pedersen, Kleintiervirologe an der Universität von Kalifornien in Davis.
Für Katzen gibt es in den Vereinigten Staaten seit Ende 1997 daher neue Richtlinien mit dreijährlichen Intervallen für die wichtigsten Impfungen - ein Kompromiß zwischen der langjährigen Praxis und der immunologischen Einsicht. Ein revidiertes Schema für Hunde ist für dieses Frühjahr angekündigt. Verantwortlich dafür zeichnen Tierarzt-Fachverbände. Deren Dachorganisation, die American Veterinary Medical Association, drückt sich allerdings immer noch um eine klare Position herum. In einer Stellungnahme vom Juli 2001 wird immerhin konzediert, daß die Vorschrift zur jährlichen Auffrischung nicht auf wissenschaftlichen Daten fuße.
Das ist der Kern des Problems. In den Vereinigten Staaten ist nämlich, ähnlich wie in Deutschland, der Nachweis einer maximalen Schutzdauer oder des optimalen Wiederimpfungsintervalls nicht vorgeschrieben für die Zulassung von Tierimpfstoffen. Geprüft werden nur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. "Ebensogut könnte man einen Booster jedes Schaltjahr oder jeden Vollmond anordnen", spottet Dennis Macy, Veterinär an der Colorado State University.
Gesichert ist lediglich, daß der Immunschutz eben doch länger hält nur als zwölf Monate. Langzeituntersuchungen an vielen hundert Tieren im Labor und in normaler Privathaltung zeigten, daß Katzen und Hunde durch Impfungen gegen Viruserkrankungen ebenso langfristig geschützt sind, wie es auch in der Humanmedizin meist der Fall ist. Nach Angaben der Universität von Wisconsin in Madison halten sich inzwischen mindestens ein Drittel aller amerikanischen Tierärzte an verlängerte Intervalle, und in den Hochschul-Veterinärkliniken sind diese Abstände heute die Regel. "An unserer Klinik impfen wir heute 40 Prozent weniger als noch vor fünf Jahren", sagt die Tierärztin Kathleen Neuhoff, Präsidentin der American Animal Hospital Association.
Den Impfstoffherstellern ist die Diskussion, die via Internet und über die Züchterverbände nun auch deutsche Tierhalter erreicht hat, nicht willkommen - drohen ihnen doch die Umsätze wegzubrechen. Im Jahr 2001 setzten die Pharmaunternehmen mit Haustierimpfstoffen schätzungsweise 25 Millionen Euro um. In den Praxen kommen zu diesem Betrag noch die Zuschläge, die von den Tierärzten auf die Einkaufspreise erhoben werden. Die Argumentationsnot der Hersteller aber ist groß, denn es fehlt an Studien, mit denen sich die Empfehlung der jährlichen Impfauffrischung untermauern ließe. Beliebt ist hierzulande der Einwand, es handle sich in den Vereinigten Staaten um "ganz andere" Impfstoffe. Aber die Produktionsmethoden sind heutzutage ebenso universell wie die Erreger von Katzenseuche, Hundestaupe und Co.
In der hiesigen Veterinärmedizin ist die Debatte noch wenig fortgeschritten. Der Bundesverband der praktischen Tierärzte monierte im November 2002 anläßlich seines Jahreskongresses die angeblich nachlassende Impfmoral der Tierhalter und fand auch nichts dabei, auf seiner Pressekonferenz ausgerechnet die Mitarbeiterin eines Pharmakonzerns für jährliche Impfungen plädieren zu lassen. Impfmüdigkeit könne neue "Seuchenzüge" unter Katzen und Hunden zur Folge haben, verkündete die Standesorganisation und verwies auf die Staupeepidemie in Finnland (1994/95). Diese Epidemie ist gut untersucht: Die meisten der erkrankten Hunde waren geimpft. Als hauptsächlicher Mechanismus für solche sogenannten Impfdurchbrüche gelten Unterschiede zwischen den wilden Virus- und den Impfvirus-Stämmen.
Einer der wenigen Experten, die in Deutschland öffentlich ein kritisches Wort äußern, ist der international hochangesehene Kleintiervirologe Marian Horzinek, Emeritus der Universität Utrecht. 1999 schrieb er in der Zeitschrift "Kleintier konkret": "Die routinemäßige Wiederholungsimpfung ist eine veterinärmedizinische Spezialität und ein überzeugender Beweis für die Qualität des Marketings der Impfstoffhersteller." Hans Lutz von der Universität Zürich deutet in einer Broschüre des Pharmaunternehmens Virbac immerhin an, daß Wohnungskatzen nicht jedes Jahr geimpft werden müssen. Und der Experte Ronald Schultz bezweifelt, daß Tiere mit Freigang häufiger gepikst werden müssen als im Haus gehaltene - sie hätten ja durch Kontakt mit Erregern oder mit Impfviren, die von frisch geimpften Tieren ausgeschieden werden, ihren natürlichen Booster.
Diese Erfahrung macht auch Helga Junk in ihrer Praxis. "Wir stellen bei Hunden; die mehrere Jahre nicht mehr geboostert wurden, für den Schutz ausreichend hohe Antikörpertiter gegen Staupe, Hepatitis und Parvovirose fest", berichtet die Tierärztin aus Saarlouis. Doch viele Praktiker zögern immer noch, die Impfrate dem heutigen Wissen anzupassen, und das trotz der erschreckend hohen Zahl von Impfschäden. "Wir waren noch vor fünf, sechs Jahren der Meinung: Impfen, das schadet nie. Inzwischen wissen wir, daß das nicht so ist", gibt Horzinek zu bedenken.
Aussagen über Nebenwirkungen sind schwierig, weil die Tierärzte nicht zur Meldung an Behörden verpflichtet sind.
Quantitative Aussagen über Impfnebenwirkungen bei Haustieren sind schwierig, weil Tierärzte nicht zur Meldung an die Behörden verpflichtet sind. Die Veterinäre wenden sich wegen einschlägiger Vorfälle, wenn sie die überhaupt als Impffolge wahrnehmen, fast ausschließlich an die Hersteller. Nach englischen und australischen Untersuchungen, die allerdings ebenfalls mit diesem methodischen Problem zu kämpfen haben, kommen auf 10 000 verkaufte Impfdosen 0,2 bis 0,4 Fälle von unerwünschten Wirkungen. Dazu zählen vor allem der anaphylaktische Schock, verschmutzte Produkte, Überempfindlichkeitsreaktionen sowie Erkrankungen durch ungenügend entschärfte Viren in Lebendimpfstoffen. Eine Studie der Cornell-Universität an 2288 regelmäßig geimpften Katzen ergab eine Rate von 0,26 Prozent Überempfindlichkeitsreaktionen, die mitunter den Tod zur Folge haben. Besser ist die Datenlage zum "postvakzinalen Sarkom" der Katze: Ein- bis zehnmal pro 10 000 Impfungen tritt der Tumor auf, für Deutschland gab der Kleintieronkologe Martin Kessler auf dem Kongreß der Deutschen Veterinär-medizinischen Gesellschaft 2001 in Berlin die Risikowahrscheinlichkeit mit eins zu 1000 an. Das sind Zahlen, mit denen sich in der Humanmedizin niemand abfinden würde. "In der Vergangenheit haben Tierärzte eine viel höhere Rate von Impfnebenwirkungen akzeptiert als Humanärzte", kritisiert Alice Wolf von der Texas A & M-Universität in Austin. Das Sarkorn-Risiko sei nicht mehr hinnehmbar.
Seit Ende August wuselt im Hause Erhardt ein neuer Boxerwelpe umher. Die kleine Rayka ist selbstverständlich grundimmunisiert, aber so häufige Booster wie ihre Vorgängerin soll sie nicht bekommen. Denn ihr Herrchen hat beschlossen: "Bei diesem Hund wird vieles anders, und zwar grundlegend anders."
*Name geändert
Links:
www.critterfixer.com
www.vth.colostate.edu/vth/savp2.html
www.api4animals.org/default.asp?ID=558
www.fibrosarkom.de
www.barfers.de/impfen.htm
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